Guter Gedanken fürs Wochenende - Der gute Hirte sprengt den Rahmen
Alles Leben ist Problemlösen – brachte es der Philosoph Karl Popper einmal auf den Punkt. Recht hat er, muss ich ihm zustimmen. Manchmal auch zähneknirschend.
Matthias Koch,
Alles Leben ist Problemlösen – brachte es der Philosoph Karl Popper auf den Punkt. Recht hat er, muss ich ihm zustimmen. Kleinere und grössere Probleme bestimmen unser Leben – in der Familie und Partnerschaft, im Beruf und einfach so privat. Irgendwo lauert immer etwas Unerledigtes. Mal ist es belanglos wie ein vergessener Joghurt im Kühlschrank. Ein andermal ärgerlich wie ein verlegter Schlüssel oder ein vergebliches Warten auf einen Anruf, das meine Planung durcheinander bringt. Nicht selten sind es Unsicherheiten über Ungewisses. Da mache ich mir Sorgen um meine Liebsten oder über meine Zukunft. Da frage ich mich, wie das nun mit den Corona-Lockerungen geht, weil alle etwas anderes behaupten. Da grüble ich einem Missverständnis nach. Oder ich sehe vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Wir sind ständig damit beschäftigt, Lösungen zu suchen, zu erproben und zu verwerfen. Alles Leben ist Problemlösen.
Doch gelegentlich bin ich es müde und habe es satt, dieses stete Problemlösen. Kann es nicht einfach mal geradeaus gehen? Einfach mal laufen, funktionieren, klappen… ohne ständig in Frage gestellt zu werden und sich neu orientieren zu müssen? Da wünsche ich mir manchmal einen, der mir das abnimmt und sich darum kümmert. Einen, der für mich sorgt, mir den richtigen Weg zeigt und mich unbeschadet durch Gefahren führt, wo ich an meine Grenzen stosse und überfordert bin. Einen, der meinen Durst nach Leben stillt und nach mir sucht, wo ich mich verliere.
Diese Sehnsucht ist vermutlich so alt wie die Menschheit. In vielen Kulturen begegnet sie uns im Bild des Hirten, der sich kümmert, der liebevoll sein Tier umsorgt, es beschützt und trägt, wo es gefallen ist. Dem fürsorgenden Hirten begegnen wir auch in der Bibel. Der gute Hirte wird da zum Bild für Gott, der sich den Menschen zuwendet, sie eint und sich für sie einsetzt. Dieses Urbild spricht Kinder wie Erwachsene an. Im Kirchenjahr ist ihm sogar ein Sonntag gewidmet. Der zweite Sonntag nach Ostern ist der Hirtensonntag. Er trägt den lateinischen Namen Misericordias Domini (Barmherzigkeit des Herrn). Seine Kernaussage bekennt Jesus Christus als den guten Hirten.
Jesus spricht: Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirt setzt sein Leben ein für die Schafe. Einer, dem die Schafe nicht selbst gehören, ist kein richtiger Hirt. Darum lässt er sie im Stich, wenn er den Wolf kommen sieht, und läuft davon – und der Wolf raubt die Schafe und treibt sie auseinander. Wer die Schafe nur gegen Lohn hütet, läuft davon; denn die Schafe sind ihm gleichgültig. Ich bin der gute Hirte und ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, so wie mich Gott wie eine Mutter kennt und ich Gott kenne. Und ich setze mein Leben ein für die Schafe. Aber ich habe noch andere Schafe, die nicht von diesem Hof stammen; auch diese muss ich führen und sie werden meine Stimme hören, und sie alle werden eine Herde mit einem Hirten sein. (nach Johannes 10,11-16)
Der Hirt war im Orient ein verbreitetes Bild für den Herrscher. Grosse Herden waren ein Zeichen von Reichtum und Macht, die es zu vermehren galt. Der Hirt, der seine Herde im Griff hat und gut führt, war das Idealbild für einen König. Daher liessen sich die altorientalischen Herrscher als Hirten feiern und verehren. Alles Leben ist Problemlösen, heisst da vor allem: Alles dient der Sicherung und Steigerung der Macht des Königs. Für das Einzelschicksal und seine Nöte gab es kaum Platz, das war untergeordnet und hatte übergeordneten Interessen zu weichen. Verständlich, wenn dieses Bild vom Hirten und seiner Herde manchmal Unbehagen auslöst. Auch heute noch. Ich – nur ein Schaf? Gehen da ich und meine persönlichen Wünsche nicht unter?
Schon das Alte Testament kennt dieses Unbehagen und erwidert es mit einem sehr kritischen Blick auf politische und religiöse Führer, die sich zu Hirten verklären und kein Hinterfragen zulassen. Es ist bemerkenswert, dass in Israel der König nicht als Hirt bezeichnet wird. Seine Macht wird in die Schranken gewiesen. Der wahre Hirt ist allein Gott. Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir mangeln, vertraut Psalm 23. Entsprechend warnen die biblischen Texte vor schlechten Hirten, die nur an das eigene Wohl denken, bei Problemen davonlaufen und das Schwache nicht stärken. Da gilt es, sich am guten Hirten zu orientieren und nach seinem Beispiel selbst auf andere zu achten.
Daran knüpft Jesus an, wenn er sich als guten Hirten bezeichnet. Ihm geht es nicht ums Beherrschen und Kontrollieren der Herde, wo das Einzelschicksal nicht zählt. Bei ihm muss ich meine Freiheit, meinen Willen, meine Träume und Eigenheiten nicht abgeben, um dazuzugehören. Jesus ist der gute Hirte, weil er das Verlorene nicht aufgibt. Jede*r einzelne zählt. Auch ich. Er kennt mich. Deshalb darf ich ganz mich selbst sein. Er lässt mich nicht im Stich, schaut nicht beschämt weg, wenn Probleme zu bedrohlich werden. Er setzt sich sogar mit seinem Leben für mich ein, trägt mich und meine Last, wo ich mich nur erschöpft fallen lassen kann.
Dieser ganz andere Hirt sprengt den Rahmen. Er befreit und weist Zwänge in die Schranken, indem er das Bild neu zeichnet. Alles Leben ist Problemlösen ist da nicht der einengende Massstab, den ich erfüllen muss und wo ich nur versagen kann, sondern ein weites Feld voller Möglichkeiten. Ich darf mich darin entfalten, ausprobieren und scheitern. Der gute Hirte gibt mich da nicht auf, er glaubt an mich. Er sagt über sich: Ich bin gekommen, damit sie das Leben in Fülle haben (Joh 10,10).
Dieser ganz andere Hirt sprengt den Rahmen. Er spricht mich bei meiner tiefen Sehnsucht nach Geborgenheit an, die besonders dort hervortritt, wo ich an meine Grenzen stosse. Er verspricht kein sorgenfreies Leben. Er ködert mich nicht, indem er das Blaue vom Himmel verspricht und meine Schwächen ausnutzt. Der gute Hirte ist das Gegenbild zu solchen Erfahrungen. Wer Gott vertraut, kann nicht nur Mitläufer sein, sondern muss manchmal auch gewohnte Umzäunungen verlassen, hinterfragen und neue Wege wagen. Das ist nicht einfach. Alles Leben ist Problemlösen. Doch kann ich es aus dem Grundvertrauen anpacken, das mir der gute Hirte gibt. Ich weiss, Einer schaut auf mich. Das lässt mich das Leben stets mit einem kritischen Augenzwinkern beschreiten.
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
(Dietrich Bonhoeffer)
So einen guten Hirten brauche ich.
Der Hirte – ein uraltes Bild
für eine zutiefst menschliche Sehnsucht.
Einer kümmert sich,
sorgt sich,
nimmt mich auf seine Schultern,
trägt mich,
kennt mich,
ruft mich,
führt mich,
sucht mich,
findet mich,
sieht mich,
schaut auf mich.
So einen guten Hirten brauche ich,
suche ich, habe ich.
Der Hirte – ein einladendes Bild
für meine eigenen Schritte.
Wie gehe ich mit der Schöpfung um?
Wo trage ich?
Wo rufe ich?
Wo suche ich?
Wie nehme ich meine Nächsten an?
So einen guten Hirten brauche ich
als Vorbild und Beispiel: Einer ging voran.
Der gute Hirte – ein befreiendes Bild
für mein Suchen nach Leben.
Weil Einer der gute Hirte ist,
darf ich mich lösen von der Vorstellung,
ich sei nur getriebener Mitläufer,
der nach fremder Pfeife tanze.
Nein, ich bin Mittänzer:
der seine Meinung geigen,
den eigenen Rhythmus finden,
den Takt auch mal verlieren
und neue Tanzschritte wagen darf.
Mein Leben – ein Hirtenlieb,
Misstöne und melancholische Klänge inklusive,
darin ich mich verlieren kann.
So einen guten Hirten brauche ich:
Einer, der mich nie verloren gibt.
Matthias Koch
Doch gelegentlich bin ich es müde und habe es satt, dieses stete Problemlösen. Kann es nicht einfach mal geradeaus gehen? Einfach mal laufen, funktionieren, klappen… ohne ständig in Frage gestellt zu werden und sich neu orientieren zu müssen? Da wünsche ich mir manchmal einen, der mir das abnimmt und sich darum kümmert. Einen, der für mich sorgt, mir den richtigen Weg zeigt und mich unbeschadet durch Gefahren führt, wo ich an meine Grenzen stosse und überfordert bin. Einen, der meinen Durst nach Leben stillt und nach mir sucht, wo ich mich verliere.
Diese Sehnsucht ist vermutlich so alt wie die Menschheit. In vielen Kulturen begegnet sie uns im Bild des Hirten, der sich kümmert, der liebevoll sein Tier umsorgt, es beschützt und trägt, wo es gefallen ist. Dem fürsorgenden Hirten begegnen wir auch in der Bibel. Der gute Hirte wird da zum Bild für Gott, der sich den Menschen zuwendet, sie eint und sich für sie einsetzt. Dieses Urbild spricht Kinder wie Erwachsene an. Im Kirchenjahr ist ihm sogar ein Sonntag gewidmet. Der zweite Sonntag nach Ostern ist der Hirtensonntag. Er trägt den lateinischen Namen Misericordias Domini (Barmherzigkeit des Herrn). Seine Kernaussage bekennt Jesus Christus als den guten Hirten.
Jesus spricht: Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirt setzt sein Leben ein für die Schafe. Einer, dem die Schafe nicht selbst gehören, ist kein richtiger Hirt. Darum lässt er sie im Stich, wenn er den Wolf kommen sieht, und läuft davon – und der Wolf raubt die Schafe und treibt sie auseinander. Wer die Schafe nur gegen Lohn hütet, läuft davon; denn die Schafe sind ihm gleichgültig. Ich bin der gute Hirte und ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, so wie mich Gott wie eine Mutter kennt und ich Gott kenne. Und ich setze mein Leben ein für die Schafe. Aber ich habe noch andere Schafe, die nicht von diesem Hof stammen; auch diese muss ich führen und sie werden meine Stimme hören, und sie alle werden eine Herde mit einem Hirten sein. (nach Johannes 10,11-16)
Der Hirt war im Orient ein verbreitetes Bild für den Herrscher. Grosse Herden waren ein Zeichen von Reichtum und Macht, die es zu vermehren galt. Der Hirt, der seine Herde im Griff hat und gut führt, war das Idealbild für einen König. Daher liessen sich die altorientalischen Herrscher als Hirten feiern und verehren. Alles Leben ist Problemlösen, heisst da vor allem: Alles dient der Sicherung und Steigerung der Macht des Königs. Für das Einzelschicksal und seine Nöte gab es kaum Platz, das war untergeordnet und hatte übergeordneten Interessen zu weichen. Verständlich, wenn dieses Bild vom Hirten und seiner Herde manchmal Unbehagen auslöst. Auch heute noch. Ich – nur ein Schaf? Gehen da ich und meine persönlichen Wünsche nicht unter?
Schon das Alte Testament kennt dieses Unbehagen und erwidert es mit einem sehr kritischen Blick auf politische und religiöse Führer, die sich zu Hirten verklären und kein Hinterfragen zulassen. Es ist bemerkenswert, dass in Israel der König nicht als Hirt bezeichnet wird. Seine Macht wird in die Schranken gewiesen. Der wahre Hirt ist allein Gott. Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir mangeln, vertraut Psalm 23. Entsprechend warnen die biblischen Texte vor schlechten Hirten, die nur an das eigene Wohl denken, bei Problemen davonlaufen und das Schwache nicht stärken. Da gilt es, sich am guten Hirten zu orientieren und nach seinem Beispiel selbst auf andere zu achten.
Daran knüpft Jesus an, wenn er sich als guten Hirten bezeichnet. Ihm geht es nicht ums Beherrschen und Kontrollieren der Herde, wo das Einzelschicksal nicht zählt. Bei ihm muss ich meine Freiheit, meinen Willen, meine Träume und Eigenheiten nicht abgeben, um dazuzugehören. Jesus ist der gute Hirte, weil er das Verlorene nicht aufgibt. Jede*r einzelne zählt. Auch ich. Er kennt mich. Deshalb darf ich ganz mich selbst sein. Er lässt mich nicht im Stich, schaut nicht beschämt weg, wenn Probleme zu bedrohlich werden. Er setzt sich sogar mit seinem Leben für mich ein, trägt mich und meine Last, wo ich mich nur erschöpft fallen lassen kann.
Dieser ganz andere Hirt sprengt den Rahmen. Er befreit und weist Zwänge in die Schranken, indem er das Bild neu zeichnet. Alles Leben ist Problemlösen ist da nicht der einengende Massstab, den ich erfüllen muss und wo ich nur versagen kann, sondern ein weites Feld voller Möglichkeiten. Ich darf mich darin entfalten, ausprobieren und scheitern. Der gute Hirte gibt mich da nicht auf, er glaubt an mich. Er sagt über sich: Ich bin gekommen, damit sie das Leben in Fülle haben (Joh 10,10).
Dieser ganz andere Hirt sprengt den Rahmen. Er spricht mich bei meiner tiefen Sehnsucht nach Geborgenheit an, die besonders dort hervortritt, wo ich an meine Grenzen stosse. Er verspricht kein sorgenfreies Leben. Er ködert mich nicht, indem er das Blaue vom Himmel verspricht und meine Schwächen ausnutzt. Der gute Hirte ist das Gegenbild zu solchen Erfahrungen. Wer Gott vertraut, kann nicht nur Mitläufer sein, sondern muss manchmal auch gewohnte Umzäunungen verlassen, hinterfragen und neue Wege wagen. Das ist nicht einfach. Alles Leben ist Problemlösen. Doch kann ich es aus dem Grundvertrauen anpacken, das mir der gute Hirte gibt. Ich weiss, Einer schaut auf mich. Das lässt mich das Leben stets mit einem kritischen Augenzwinkern beschreiten.
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
(Dietrich Bonhoeffer)
So einen guten Hirten brauche ich.
Der Hirte – ein uraltes Bild
für eine zutiefst menschliche Sehnsucht.
Einer kümmert sich,
sorgt sich,
nimmt mich auf seine Schultern,
trägt mich,
kennt mich,
ruft mich,
führt mich,
sucht mich,
findet mich,
sieht mich,
schaut auf mich.
So einen guten Hirten brauche ich,
suche ich, habe ich.
Der Hirte – ein einladendes Bild
für meine eigenen Schritte.
Wie gehe ich mit der Schöpfung um?
Wo trage ich?
Wo rufe ich?
Wo suche ich?
Wie nehme ich meine Nächsten an?
So einen guten Hirten brauche ich
als Vorbild und Beispiel: Einer ging voran.
Der gute Hirte – ein befreiendes Bild
für mein Suchen nach Leben.
Weil Einer der gute Hirte ist,
darf ich mich lösen von der Vorstellung,
ich sei nur getriebener Mitläufer,
der nach fremder Pfeife tanze.
Nein, ich bin Mittänzer:
der seine Meinung geigen,
den eigenen Rhythmus finden,
den Takt auch mal verlieren
und neue Tanzschritte wagen darf.
Mein Leben – ein Hirtenlieb,
Misstöne und melancholische Klänge inklusive,
darin ich mich verlieren kann.
So einen guten Hirten brauche ich:
Einer, der mich nie verloren gibt.
Matthias Koch